Paula

14.05.2021
Von Sandra

Schon lange gab es den Wunsch in unserer Familie, einen Hund bei uns einziehen zu lassen. Völlig frei von jeglicher Ahnung und Erfahrung machten wir uns immer mehr mit dem Gedanken vertraut. Im Sommer 2018 war der Entschluss gefasst: Eine schwarze Labrador-Hündin sollte es sein.
Wir suchten eine Züchterin und lernten nach einigen „Vorab-Besuchen“ im August 2018 Paula kennen. Im Oktober 2018, im Alter von 8 Wochen, nahmen wir sie mit nach Hause.

Entzückend! Natürlich haben wir uns im Vorfeld sehr viel Informiert, uns mit Hundebesitzer/innen ausgetauscht und sehr, sehr viel gelesen. Schnell haben wir uns also auch Lehrbuch mäßig in einer  Hundeschule für die Welpengruppe angemeldet und einen ersten Termin beim Tierarzt vereinbart. Beides fand in der 10. Woche statt.

Für die Eingewöhnung von Paula und für unser Kennenlernen haben wir uns knapp 3 Wochen Urlaub genommen. Es war eine anstrengende, aber auch eine sehr schöne Zeit. Das volle Programm: Wir schliefen auf dem Fußboden in der Küche, gingen Tag und Nacht stündlich mit ihr in den Garten. Alles lief unserer Meinung nach perfekt. Wir haben uns dabei vor allem daran orientiert, was die Bücher uns rieten. Unter anderem, mehrmals täglich einen kleinen Spaziergang entsprechend des Alters (Woche x Minuten) zu unternehmen. Wir wollten raus – mit dem Hund – und haben Paula in Wälder geschleppt, an Straßen entlanggeführt und „Leinentraining“ im Garten gemacht. Stolz waren wir, alles irgendwie richtig gut zu machen.

Da klar war, dass Paula eine Bürohündin werden sollte, haben wir auch hier mit 12 Wochen mit der Eingewöhnung angefangen. Weiterhin lief für uns alles perfekt. Sie konnte sich schnell auf neue Situationen einlassen und schien immer mehr Vertrauen zu uns zu fassen.

Als der Urlaub beendet war, nahm ich sie mit ins Büro. Das Büro liegt in der Aachener Innenstadt, mit viel Straßenverkehr vor der Türe und in naher Umgebung an einer Bahnschiene; immerhin mit einem zwar sehr kleinen, aber ausreichenden Grünstreifen. Ich ging auch hier stündlich mit ihr raus bzw. dann, wenn sie anzeigte.

Irgendwann veränderte sich Paula. Sie zeigte wenig Interesse nach draußen zu gehen. Die „Pipi-Wiese“ am Büro wurde anfangs schnell von ihr akzeptiert, es wurde jedoch plötzlich zur riesen Hürde für sie, dorthin zu kommen. Da sie noch sehr klein und relativ leicht war, habe sie also dorthin getragen; der Arbeitsalltag musste ja auch irgendwie funktionieren.

Auch außerhalb des Büros wurde es anders. Paula zeigte wenig Interesse, an Halsband und Leine (welches wir unbedachter Weise natürlich mal eben umgelegt haben) nach kurzer „Leinengewöhnung“ im Garten mit uns durch die Gegend zu laufen. Je weiter es vom Haus wegging, desto widerständiger reagierte sie. Sie bewegte sich keinen Zentimeter mehr, drehte uns den Rücken zu und saß einfach nur da.
Natürlich konnten wir sie anfangs tragen, aber dies konnte nicht Sinn der Sache sein. Zumal sie immer schwerer wurde und dann nicht mehr so leicht zu tragen war. Sie zitterte, wenn wir draußen waren und versuchte, sich vom Halsband zu befreien. Anfänglich nur an befahrenen Straßen, hinterher auch an nicht befahrenen Straßen und dann für eine ganze Zeit lang auch im Wald.

Wir wussten keinen Rat und haben uns an einen Hundetrainer gewandt. Hier erfuhren wir, dass dieses Verhalten völlig typisch für junge Welpen sei und wir auf jeden Fall „der Chef“ sein müssten, ansonsten würde sie uns in wenigen Wochen auf der Nase tanzen. Im Übrigen sollten wir „mal ordentlich an der Leine ruckeln, damit sie „wisse, wo es lang gehe“. Sie würde sich schnell daran gewöhnen. Unsere Befürchtungen überging der Trainer mit den Worten „Ach was, da darf man nicht so weich sein – Hunde können mit ihrem Hals töten, so stark ist der.“

Verstärkt wurde dieser Rat durch entsprechende Literatur und auch bei einer Tierärztin, die uns mit auf den Weg gab, wie wichtig es sei, „der Chef“ zu sein und vor allem IMMER „als erstes durch die Tür zu gehen“.

Wir waren völlig verunsichert und haben also ausprobiert. Natürlich waren wir nicht von heute auf morgen rabiate Menschen und waren immer noch vorsichtig im Umgang mit Paula. Jedoch gab es den ein oder anderen sehr unschönen „Leinenrucker“, besonders dann umso  heftiger, wenn die Verzweiflung stieg und der Ärger größer wurde...

Und damit nahm das Unheil seinen Lauf …

Im Büro wurde es immer unerträglicher, sie hatte solch große Angst raus zu gehen, dass sie es sich verkniff. Irgendwann hat es sie so gequält und sie hat sehr gejault und gejammert.

Ich hielt es kaum aus und fing an, mehrmals am Tag mit ihr zum Park zu fahren, damit sie sich doch entleeren konnte. Allerdings war es nicht alltagstauglich, weil mein Berufsalltag wochen- und monatelang darunter litt. Meine Nerven auch und ich war wirklich sehr verzweifelt. Ich habe noch mal beim Trainer nachgefragt und hörte „na, wenn sie nicht raus geht, kann es so dringend nicht sein!“.

Wir waren nicht zufrieden, zumal ihr Verhalten immer auffälliger und ihre Ängste deutlich verstärkt wurden. Plötzlich hatte Paula Angst vor LKW, Bussen, Motorrädern und später zum Schluss sogar vor Autos. Für uns unvorstellbar, wo das plötzlich herkommen sollte. Spaziergänge und Gassirunden wurden zum Spießrutenlauf, weil wir nie sicher sein konnten, wann sie nicht weiter wollte bzw. konnte. Es gab Situationen, wo wir sie meterweit getragen haben, da wog sie schon ca. 18 kg. Sie hat oft fürchterlich gezittert und war danach für Stunden verstört und erschöpft. Spaziergänge von zu Hause aus oder vom Büro aus waren inzwischen undenkbar. Wenn wir mit dem Auto irgendwo hinfuhren, stieg sie nicht mehr freiwillig aus. Auch in den Garten ging sie zu dem Zeitpunkt nicht mehr, weil sie ca. 100 m Luftlinie Straßenverkehr hörte. Alles war negativ besetzt inzwischen.

Eine Lösung musste her – dringend!

Unser Alltag und mein Berufsalltag funktionierte nicht mehr – und wir machten uns vor allem große Sorgen, dass mit unserem Hund etwas nicht stimmte.

Wir haben uns dann zum ersten Mal an eine andere Hundetrainerin in unserer Hundeschule gewandt, die vorschlug, Paula ausschließlich draußen zu füttern und nur noch das Beste anzubieten (gekochtes Hühnchen, Rind, Käse, Würsten etc.), damit sie lernt, draußen ist es auch toll. Dies haben wir einige Tage so gemacht, was auch gut geklappt hat, weil Paula sich als Labrador leicht mit Futter locken lässt. Nach ca. 10 Tagen war jedoch auch damit Schluss. Selbst Rinderfilet nahm sie nicht, wenn sie dafür vor die Türe musste.

Die Trainerin sagte zu mir, dass Paula „ein Fall für Norbert“ sei.

Wer ist Norbert?

Norbert wurde mir als Hundetrainer und -psychologe benannt, der sich auf verhaltensauffällige Hunde konzentriert. Er sei Lind-art©-Trainer, ATN- zertifizierter Hundeverhaltensberater und würde auch Kurse anbieten.

Ich lernte Norbert im anstehenden Team-Balance-Schnupperkurs kennen.

Schon bald konnte ich ihm von Paulas Verhalten erzählen. Er hat zugehört, viel gefragt und Aspekte benannt, die wir zunächst ausschließen (lassen) sollten: Futter-Milben-Allergie, Futter-Unverträglichkeit (Paula bekam Trockenfutter), orthopädische und medizinische Probleme.

Inzwischen gab es immer mehr Verhalten von Paula, was für uns nicht erklärbar war und gefühlt wurde alles immer schlimmer … sie ließ sich plötzlich nicht mehr das Geschirr anziehen, sie zog an der Leine wie wild, ging auch nicht mehr in gewohnter Umgebung vor die Türe, lief im Wald nur ihr vertraute Wege. Manchmal blieb sie stehen und ging keinen Schritt weiter – für uns wirklich nicht nachvollziehbare Gründe.
In unseren Augen war nichts passiert! Allerdings war auch unser Blick nicht mehr offen, da alles immer trüber, anstrengender und verzweifelter wurde.

Wir waren nicht mal mehr sicher, ob es die richtige Entscheidung war, einen Hund zu halten.

Alles wurde anders, als wir Norbert kennen lernten. Der Team-Balance-Kurs war die erste große Hilfe, die wir erfuhren. Norberts Zugang zu Hunden und sein Training im Umgang mit Hunden ist anders, als wir es bis dahin kannten. Er wollte nicht, dass wir „Chef“ sind, sondern zunächst Spielpartner und somit für den Hund die interessanteste Person werden sollten und wurden. Wir lernten, positives Verhalten zu verstärken, zu markern und negatives Verhalten nicht zu bestrafen und so spielerisch dahin gelangten, wo wir mit dem Hund hinwollten.

Mit jeder Stunde auf dem Hundeplatz und mit jeder Einzelstunde mit Norbert wurde alles Schrittchen für Schritten besser. Natürlich gab es immer wieder auch „Rückschritte“, die jedoch besser aushaltbar waren, weil wir sehr viel Hintergrundwissen erhielten. Sowohl im Kurs, als auch in den Einzelstunden. Norbert ist wirklich sehr kompetent und hat auf so gut wie jede Frage eine Antwort und/oder eine Idee. 

Auch das Thema B.A.R.F. sprach er an, da Paula bislang Trockenfutter erhielt. Dies war zunächst leider keine Option für uns, weil es sich zu kompliziert anfühlte und der Alltag ohnehin schon auf den Kopf gestellt war. 

Das erste Einzeltraining mit Norbert fand in meinem Büro statt, weil dies zum damaligen Zeitpunkt meine größte Not war.  Norbert wollte sehen, warum Paula nicht vor die Türe wollte. Er probierte dies aus und jenes, hat viel gefragt und mich viel erzählen lassen.

Schnell gab es die Vermutung von ihm, dass die Ursprungsproblematik mit dem Leinenruckeln begann. Er erklärte mir sehr viel dazu, u. a. auch, dass daraus bedingt immer mehr Negativerfahrungen und Ängste entstanden sind. Halsband verknüpft mit Leine; Halsband-Leine verknüpft mit Auto; Halsband-Leine-Auto verknüpft mit Draußensein, Draußensein verknüpft mi Autolärm etc. Es kam fast wochenweise etwas Neues hinzu, was Paula immer mehr ängstigte.

Norberts Vorschlag war, die Straße vor dem Büro zu meiden, Paula nicht mehr zu überreden, zu locken oder zu zwingen und für ihre Geschäfte ein Waldstück am Stadtrand aufzusuchen. Auch kein Geschirr mehr, Halsband und Leine auch nur, wenn es nicht anders möglich war und dann eine Schleppleine. Bis auf Weiteres kein Druck mehr auf den Hals. Auch Norberts Vorschlag, neue Leinen und ein neues Halsband zu kaufen, setzten wir um, da die Sachen, die wir hatten inzwischen so negativ besetzt waren, dass Paula vor uns weglief, wenn wir nur eins davon in die Hand nahmen. 

Das Nervenkostüm von Paula musste sich zunächst für angekündigte ca. 6 Wochen entspannen. In dieser Zeit ging ich a) nur ihr vertraute Wege und b) Wege, wo ich so gut wie niemanden traf, damit sie ohne Leine laufen konnte.
Norbert stellte verschiedene Trainingsmethoden und Möglichkeiten vor, die Paula langsam wieder in die Entspannung führen sollte. Uns gefiel „zeigen und benennen“ am besten für den Anfang – eine Methode, die uns schnell, sehr schnell weiterbrachte.

Wir sahen schon bald eine Veränderung, der weitere sehr positive Erlebnisse mit Paula folgten. „Zeigen und benennen“ ermöglichte es ihr schon bald, in ihr vertrauter Umgebung wieder an fahrenden Autos, nachher an Bussen, später an LKW und zu guter Letzt auch an Motorrädern und Traktoren vorbei zu kommen. Paula entspannte sich zusehends. Wir zwangen sie nicht mich durch irgendwelche Situationen, die uns wichtig waren, sondern ließen sie entscheiden, welche Wege sie laufen wollte.

Die Kunst für uns bestand darin uns immer wieder vor Augen zu führen, dass es nicht ein ganzes Hundeleben lang so bleiben würde. Es war schön zu sehen, welche Fortschritte Paula machte und wie sie sich veränderte. Wir waren erleichtert, aber natürlich auch in Sorge, ob es nun immer so sein würde. So trainingsintensiv mit so übertrieben viel Rücksicht auf den Hund. Wir fühlen uns oft sehr eingeschränkt und dominiert.

Dank Norbert hat sich nicht nur der Umgang, sondern auch unsere Haltung und unser Blick auf Paula und auf ein Leben mit Hund verändert. Er hat oft unser Verhalten korrigiert und wurde nicht müde, es immer und immer wieder zu tun. Bis es angekommen war 😉

Da Paula nun zwar wieder freier, entspannter und freudiger „ihren“ Wald genoss, anderswo jedoch nicht mal aus dem Auto aussteigen wollte, brauchten wir erneuten Rat von Norbert, der uns noch mal Unterstützung im Training gab.
Jetzt übten wir Aussteigen und gleich wieder Einsteigen, ohne eine anschließende Aktion. Aussteigen wurde belohnt und immer mit einem Positiverlebnis abgeschlossen. Norbert sagte in diesem Zusammenhang, dass Paula in 2 Monaten mit mir hinginge, wo ich wollte – für mich unvorstellbar. Kleine Schritte machen und nicht immer gleich alles auf einmal von Paula verlangen, mussten wir erst mal selbst lernen.

Wir haben sehr viel trainiert, mehrmals täglich, immer wieder, pausenlos und – tatsächlich – veränderte es sich. In kleinen Schritten kamen wir nach einigen Wochen dahin, wo wir hin wollten. Paula war noch immer aufgeregt, wenn sie aus dem Auto ausstieg aber sie vertraute uns und endlich konnten wir nach und nach Wälder & Wiesen erkunden. Auch kaum wenig befahrene Straßen wurden mit viel, viel Geduld möglich.

Inzwischen merkt man Paula ihre Ängste diesbezüglich so gut wie gar nicht mehr an. Wenn wir an Straßen in ihr nicht vertrauten Gegenden aussteigen, dauert es noch immer, ehe sie sich einigermaßen entspannt. Aber es geht – und wir sind zuversichtlich, dass auch das immer leichter für sie wird.

Das Futter haben wir auf B.A.R.F. umgestellt. Sicherlich für Paula ein riesen Zugewinn 😉 Wir sind sicher, dass auch dies zur Entspannung beigetragen hat – der größte Erfolg kommt jedoch durch das Training mit Norbert! Und dafür sind wir sehr, sehr dankbar!

Paula ist inzwischen 15 Monate alt und eine süße, neugierige und aufgeweckte Hündin. Sie erkundet die Welt, was uns sehr für sie freut. Sie ist zunächst immerhin mutig und nicht gleich verängstigt. Einige Situationen sind ihr immer noch nicht geheuer – aber wir locken sie nicht mehr sondern geben ihr die Möglichkeit, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Auch das haben wir durch das Training gelernt. Meistens stellt sie sich den Herausforderungen, was für uns einfach schön ist.

Eine leidenschaftliche Leinengängerin oder ein Stadt-Hund wird sie vermutlich nicht werden, aber sie kann es und geht inzwischen tatsächlich mit uns überall hin.

Norbert hat es mit einem Zahnarztbesuch bei uns Menschen verglichen: Hat der Zahnarzt die Situation gut „auftrainiert“, reicht schon der Geruch der Praxis oder das Geräusch des Bohrers, was uns in Angst versetzt. Kein Mensch wird mit der Angst vorm Zahnarzt geboren, sie entsteht durch Negativerlebnisse. Und dennoch gehen wir hin, weil es zwar unangenehm, aber aushaltbar und irgendwie dann doch nicht so schlimm ist.

Danke Dir, Norbert, für Deine Unterstützung, Deine Korrektur an vielen Stellen in meinem und unserem Umgang mit Paula und für Deine endlose Geduld!

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